In Kooperation mit der Universität Wien und Dr. Elke Krafka ermöglichte das Figurentheater LILARUM im Rahmen des Festivals „dreizurdritten zwischendurch“ im Januar 08 Studierenden des Instituts für Theaterwissenschaft praxisorientierten Austausch und wissenschaftlichen Diskurs mit dem Genre Figurentheater.
Hier ein Auszug der theaterwissenschaftlichen Arbeit zu Christoph Bochdanskys Figurenspiel „Ich habe gerade eine Frau gegessen“ von Julia Czech: Bochdansky erscheint als Krokodil verkleidet auf der Bühne. Das Krokodil berichtet, dass es gerne Frauen fräse, was schließlich zur Einleitung des Stückes wird und zu Fragen über die komplizierte Liebe zwischen Mann und Frau überleitet. Dann beginnt das „eigentliche Puppentheater“: das Krokodil übernimmt die Rolle des Puppenspielers (Doppelrolle!).
Nun kommen die Hauptfiguren ins Spiel. Zuerst der Kasperl, der wahnsinnigen Appetit, vor allem auf eine Frau, hat und sich schon gar nicht mehr beherrschen kann. Kurz darauf meldet sich der Penis des Kasperl zu Wort, der auf einem so niederen Niveau nicht mit dem Kasperl auf die Suche nach einer Frau gehen möchte. Er verlässt unbemerkt das „Hosenstallgefängnis“ (Wortneuschöpfung!) und beide machen sich voneinander getrennt auf den Weg. Darauf tritt der Teufel in melancholischer Stimmung auf, der seinem ehemaligen Platz im Himmel nachtrauert. Um sich zu trösten ist auch er auf dem Weg zu einer Frau, der Riesin. Das verletzte Herz des Teufels sucht echten Trost und wird von seinem Besitzer einfach vergessen. So irrt es blind umher und trifft auf den Kasperl, der kein Mitleid kennt und es braten möchte. Doch als er von der verführerischen Riesin erfährt, möchte er natürlich als Erster, vor dem Teufel, zum Zug kommen und eilt weiter. Kasperl und Teufel, die nun beide die Riesin im Sinn haben, treffen aufeinander und eine wilde Schlägerei beginnt. Der Kasperl schlägt mit seiner „Pritsche“ auf den Teufel ein, darauf wirft ihn der Teufel gegen das Bühnengestänge.
Diese Situation wiederholt sich öfter und zeigt, dass die Beiden auf diese Art nicht wirklich weiter kommen. Außerdem zeigt die Szene besonders gut, wie Bochdansky auf das „klassische“ Kasperltheater hindeutet und es in sein Stück mit einbindet. Im Kasperltheater ist der Kasperl normalerweise der Gute, Teufel und Krokodil sind als Böse charakterisiert. So leicht und eindeutig kann man die Typen in diesem Stück nicht bestimmen, wobei Penis und Herz meiner Meinung nach eindeutig positiv charakterisiert sind und der Penis besonders skurril wirkt mit seinen moralischen Vorstellungen. Es sind Stabpuppen mit beweglichen Mündern, die nur mit einer Hand bespielt werden können. Die Beiden leiden unter ihren Besitzern und haben höhere Ziele.
Schließlich trifft der Penis auf das herumirrende Herz, sie unterhalten sich angeregt, verstehen sich blendend und verlieben sich ineinander. Kasperl und Teufel haben während ihres Kampfes bemerkt, dass ihnen wichtige Organe fehlen. Das hält sie aber nicht davon ab, nun gemeinsam weiter zur Riesin zu ziehen. Die untypischen Figuren Herz und Penis finden durch Zufall die Riesin zuerst und werden eingelassen.Die Figur der Riesin ist von dem Gedicht von Charles Baudelaire „Die Riesin“ inspiriert. Kasperl und Teufel haben bald auch die Riesin gefunden und stehen voller Erwartung vor ihrer Tür. Doch niemand öffnet. Die Riesin hat die idealen Liebhaber gefunden und scheint sehr zufrieden mit den beiden zu sein. Was würden ihr schon ein Teufel ohne Herz und ein Kasperl ohne Penis bieten können?!
Bochdansky spricht sensible Themen an: Liebe und Sexualität. Die Puppen agieren teilweise sehr provozierend und offensiv, aber dadurch, dass es Puppen sind, wirkt es komisch und die Themen werden humorvoll transportiert. Er zeigt, welche Bedürfnisse und Triebe der Mensch hat. Ich meine, Bochdansky wollte vermitteln, dass beides, Zuwendung und Sexualität, zusammengehören und sich ergänzen sollten („Die Moral von der Geschicht`“). Das finde ich löblich, nur die Frau kommt in dem Stück nicht wirklich zu Wort. Die Riesin ist eine sinnliche, begehrenswerte Frau, aber ich meine, sie wird nur auf die sexuelle Ebene reduziert. Trotzdem wirkt die Figur stark und selbstbewusst durch die Art, wie sie gestaltet ist und auftritt.Die sprechende Penis-Puppe, wahrscheinlich aus Latex, ist natürlich ein Blickfang und wirkt sehr absurd. Was ich lustig finde, ist, dass der Penis eine eigene Stimme bekommt, praktisch personifiziert wird und gerade der Penis moralische Werte hat, wo sich die Männer doch immer auf ihn ausreden, wenn es um ihre Triebe geht. Darum finde ich auch, dass die Figur gut funktioniert, der Penis ist in dem Stück nicht der Übeltäter.Das Herz ist praktisch das zweite „Organ“ des Menschen, das zu Wort kommen kann. Die Stabpuppe ist aus rotem Plüsch mit einer hängenden Träne und kann wie der Penis auch den Mund bewegen. Mich hat das Herz berührt, es wirkt sehr hilflos und wahrscheinlich ist es im echten Leben auch oft so, dass wir nicht auf unser „Herz“ hören. Ich finde, Teufel und Kasperl sind schwierig zu charakterisieren, sie scheinen zuerst den Stereotypen des Praterkasperls zu entsprechen. Der Kasperl wirkt auf mich sehr roh, der unbelehrbar ist. Der Teufel erscheint mir sympathischer, er leidet unter seiner Situation, ist aber schlauer als der Kasperl. Ich glaube, beide sind in ihren Rollen gefangen und können ihr nicht entfliehen und das macht sie irgendwie zu tragisch-komischen Figuren. Die Puppen, vor allem die Riesin und die Stabpuppen, sind kreativ und individuell gestaltet, sie haben ihren eigenen Charakter. Bochdansky hat sie selbst gefertigt mit verschiedenen Techniken. Er ist der alleinige Puppenspieler und wendet unterschiedliche Spieltechniken an. Er wechselt gekonnt die verschiedenen Rollen, wobei seine „eigentliche Rolle“ in dem Stück, das Krokodil, interessant ist. Bochdansky schlüpft körperlich in diese Rolle, nicht verborgen wie beim Puppenspiel. Er unterbricht das Stück, wenn er als Krokodil ohne Puppen auftritt, und gibt ergänzende, erklärende Kommentare. Er spielt mit seiner Rolle als Puppe, wenn er den Krokodilkopf abnimmt, gegen das Gestänge schlägt und „au“ sagt, was natürlich absurd wirkt. Das Krokodil ist im Grunde genommen auch eine böse Figur, frisst Frauen – konsumiert sie. Die meisten Aussagen sind doppeldeutig, die die Geschichte leiten und zum Reflektieren anregen.
Ich finde es beeindruckend, wie vielseitig Christoph Bochdansky ist. Ihm gelingt es, die Figuren selbst zu gestalten, das Stück zu entwickeln und selbst die Puppen zu bespielen. Die Figuren sind skurril und individuell, es ist eine geistreiche Geschichte, die funktioniert, in sich geschlossen ist und viele An-spielungen auf das Kasperltheater und deren Figuren beinhaltet. Bochdansky schafft es, zeitlose Themen, die die Menschen schon immer bewegt haben, in seinem Stück darzustellen und „alte“ Figuren des Kasperltheaters neu zu interpretieren und mit neuen, untypischen Figuren zu verbinden.